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Sinnbilder fragiler Vitalität, Die Malerin Stephanie Pech

Stillleben, in denen Fische, Meeresgetier, Pflanzen, Früchte, Blumen und allerlei Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs wie handelnde Figuren auftreten, sind das Markenzeichen der 1968 im westfälischen Unna geborenen Malerin Stephanie Pech. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt und arbeitet sie als freischaffende Künstlerin in Bonn. Großformatige Öl- und Acrylbilder von üppiger Farbigkeit entstehen in ihrem lichten Atelier im Stadtteil Kessenich. Zumeist ist dort nur das aktuell entstehende Werk zu sehen, alle anderen Bilder sind weggeräumt, so als würden sie die Konzentration auf die neueste Arbeit stören. Auf den Tischen vor der Fensterfront liegen vereinzelt Skizzen, Fotos, Collagen, erste Entwürfe zu Bildideen, dazu Pinsel, nach Größen sortiert, Farbtuben, Malutensilien – alles wohlgeordnet, um einer an farblicher Präzision und Nuanciertheit in beinah altmeisterlicher Technik orientierten Arbeitsweise zu dienen. Schon früh nach ihrem Studium an der Kunstakademie in Münster hat Stephanie Pech mit ihren großformatigen Kompositionen und deren  gleichermaßen subtilen und opulenten Koloristik und  oftmals surreal anmutenden, verstörenden Gegenständlichkeit, eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit von namhaften Kunstkritikern und Museumsleuten erfahren. So charakterisiert im Jahr 2002 der damalige Museumsleiter des Bonner Kunstmuseums, Dieter Ronte, ihr noch junges malerisches Werk: „Die Bilder sind nicht einfach gemalt oder aus dem Bauch heraus geschleudert mit der Perfektion einer realistisch begabten Malerin, sondern langsam gefundene, erarbeitete Konstrukte, die ebenso vom Kopf bestimmt sind wie von der malerischen Neugier. Viel Kunstgeschichte ist in den Bildern wiederzufinden, viele unverhoffte Sehweisen von schon bekannten Gegenständen tauchen in einer neuen, intellektuellen Präsenz wieder auf.“  Kunstgeschichtliche Verweise finden sich viele in diesen um die Jahrtausendwende entstandenen Bildern, teils als direkte Zitate von Bildmotiven, zum Beispiel des Renaissancemalers Giovanni Bellini, teils auf eine eher indirekte Einschreibung in malerische Traditionen bewunderter Vorbilder wie Eugène Delacroix, Edouard Manet oder Francis Bacon. Diese Verweise und Bezugnahmen sind kein kunsthistorisches Spiel, kein Selbstzweck, sondern sie deuten an, dass es Stephanie Pech um eine Malerei geht, die nicht voraussetzungslos entsteht, um eine Malerei, die sich neu erfindet vor dem Hintergrund bereits vorhandener koloristischer und kompositioneller Bildlösungen.

Ausgangspunkt Farbe

Von 1988 bis 1995 studiert Stephanie Pech an der Kunstakademie in Münster bei den Professoren J. Zellmann und H.-J. Kuhna, ab 1995 ist sie Meisterschülerin des Malers Hermann-Josef Kuhna. Eine Lehrerwahl, die auf den ersten Blick verwundert, scheint doch H.-J. Kuhna mit seiner pointillistischen Abstraktion, in der aus kleinsten Farbtupfern rhythmisch pulsierende Bildgewebe entstehen, die eine musikalische Wirkung entfalten, dem sachlich-veristischen Blick auf alltägliche Gegenstände, der Stephanie Pechs Bilder auszeichnet, konträr entgegenzustehen. Doch auf den zweiten Blick mag man erkennen, was die angehende Künstlerin an ihrem Lehrer fasziniert hat. Auch sie sucht in ihren Bildern nach Beziehungen und Wechselwirkungen von Farben, die sich gegenseitig steigern können, und dies unabhängig vom wirklichen Aussehen der Dinge, Pflanzen oder Tiere, die sie auf die Bildfläche setzt. Nicht selten hat sogar die Wahl der Farben Vorrang über das Bildsujet, das erst nach dem Festlegen des bildbeherrschenden Farb-Akkordes – oder auch der grundlegenden farblichen Dissonanz -  des entstehenden Bildes hinzukommt. „Die Farbwahl passiert bei mir sehr intuitiv. Manchmal ist sogar die Farbwahl zuerst da. Dann suche ich die Gegenstände…Es geht immer so auf des Messers Schneide, so haarscharf dran vorbei, indem ich zum Beispiel ein Karminrot mit Magenta oder Rosa kombiniere. Das ist häufig bis zum Kippeffekt gesteigert“, erklärt die Malerin im Gespräch. In der Tat steigert Stephanie Pech die Farbkontraste ihrer am Gegenstand orientierten Bildräume oft ins Irreale: komplementäre Kontraste, ein morbides Rosa, schreiendes Rot oder ein seltsam unfassbares Hellblau stoßen unvermittelt aufeinander. Noch bevor der Betrachter das ins Zentrum gesetzte Bildmotiv, eine Muschel, einen Oktopus oder eine Pflanze einordnen kann, hat der Farbklang der gesamten Bildkomposition schon Besitz von ihm ergriffen und eine erste Verstörung hervorgerufen. Diese Relationen von Farben, auch deren psychologische Wirkungen, sind Erfahrungen, die Stephanie Pech aus der Malklasse H.-P. Kuhna in ihre weitere eigene Entwicklung mitnimmt, dazu eine durch vielfältige Diskussionen mit dem Lehrer und den anderen Studierenden geschärfte Wahrnehmung von Umwelt und Gesellschaft. Stipendien, Ausstellungsbeteiligungen und erste Einzelausstellungen schließen sich an die Akademiezeit an. Im Jahr 1999 dokumentiert sie ihre Malerei in einem Ausstellungskatalog, zu dem der zweimalige Leiter der documenta und Professor der Kunstakademie Münster Manfred Schneckenburger das Vorwort beisteuert. Er schreibt: „…der Schein trügt. Die Bilder sind tückischer als der erste Blick enthüllt. Ihre Attraktivität stellt Fallen für Auge und Empathie. Ihre schöne Eindeutigkeit hält dem zweiten Blick nicht stand. Ihre Opulenz wird durch eine Reihe von Ambivalenzen unterlaufen. Nature morte vivante – das heißt hier: Tod und Leben sind auf vertrackte Weisen durcheinandergeraten. Hinter dem farbigen Abglanz tauchen Szenen von Gefährdung und Verwundung hervor. Konträre Welten, die sich eigentlich ausschließen, rücken sich bedrohlich auf den Leib. Nur die komplementäre Bindungskraft der Farben und untergründige Formbeziehungen halten sie zusammen.“

 

„…schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“

Diese berühmte Gedichtstelle aus den „Gesängen des Maldoror“ des Comte de Lautréamont, eines der wichtigsten Ahnherren des Surrealismus, mag als Schlüssel dienen, um Zugang zu Stephanie Pechs Bildwelten zu bekommen. Die 1874 unter dem Pseudonym des Grafen Lautréamont posthum veröffentlichen Hymnen an das Böse und Grausame stammen aus der Feder des jung verstorbenen französischen Dichters Isidore L. Ducasse. Gerade die zitierte Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf einem Seziertisch, hatte enorme Wirkung auf die Diskussionen der surrealistischen Dichter und Maler im Paris der 1920er und 1930er Jahre. Es ging ihnen um eine Wiederverzauberung und Verrückung einer allzu rationalen Welt, um eine Einbeziehung des Unbewussten, Traumhaften, auch Albtraumhaften. Was eignete sich besser, als das Zusammenfügen von eigentlich Disparatem, Widersprüchlichen, als ein am Prinzip der Collage orientiertes Verfahren, um das Irrationale und Imaginäre in Wort und Bild darzustellen. Hierfür konnte man sich auf Lautréamont berufen, dessen Verse den Verstand und die Moral zu unterlaufen trachteten. Auch Stephanie Pech bedient sich in ihren Bildern der 1990er und frühen 2000er Jahre einer Art surrealistischen Collageprinzips, indem sie disparate Wirklichkeiten scheinbar logisch ineinanderfügt. Sachlich-nüchtern, fast monochrom gemalte Bildhintergründe werden zu einer Bühne, auf denen merkwürdig ins Monumentale vergrößerte Meerestiere, Pflanzen, Blüten oder auch Keimlinge wirkungsvoll in Szene gesetzt werden. Nur der Mensch ist niemals in diesen Bildern dargestellt, und doch ist er anwesend in menschengemachten Dingen, Requisiten wie Teller, Geschirrtuch, Heizkörper, Elektrokabel, Badewanne , oder auch in einem Kleidungsstück wie dem Oberteil eines Bikinis. Mit außergewöhnlicher Präzision und altmeisterlicher Technik, Farbschicht auf Farbschicht fügend und zuletzt Licht- und Schattenakzente setzend, baut Stephanie Pech ihre zumeist großformatigen Bildszenarien auf. Tintenfische von greifbarer physischer Präsenz, Garnelen und Muscheln von einer verführerischen, beinah erotischen Stofflichkeit, unübersehbar, fast schon aufdringlich vor den Betrachter gestellt. Und doch seltsam erstarrt, nicht mehr lebendig, mal nur noch Körperhülle, Schale oder Panzer, mal bereits angeschnitten, zum Verzehr, zum Kochen vorbereitet. Die Malerin findet ihre Bildsujets im alltäglichen Leben, beim Einkauf auf dem Markt, beim Zubereiten der Mahlzeiten in der Küche. „Häufig sind das Momentaufnahmen, wie in einem Filmstill, wo ich dann plötzlich den Moment eingefroren und angehalten habe“, kommentiert sie den Prozess der Bildfindung. Dann folgt allerdings die Übertragung dieses Moments in eine durchdachte kompositorische Form. Dabei versetzt sie ihren „Akteur“ oftmals in eine ihm fremde Umgebung. Was hat schließlich der bereits ausgenommene Fisch auf dem empfindlichen Polster eines Sofas zu tun? Und warum liegt der überlang gestreckte Aal wie aufgebahrt auf dem kostbaren Brokat, der aus einem berühmten Gemälde von Giovanni Bellini zitiert ist? Es sind malerische Inszenierungen, denen durchaus etwas Theatralisches, den Bildgegenstand Überhöhendes, aber auch ironische Brechungen zu eigen sind. Neben der Doppelbödigkeit und verstörenden Unlogik des Dargestellten zeigt sich hier, dass es Stephanie Pech vor allem um Malerei geht, um eine rein malerische Lust am Malen von Stofflichkeiten, Oberflächen, an Farbklängen, an der Konstruktion von realen wie imaginären Bildräumen. „Die Künstlerin sucht die Schönheiten des Lebens dort, wo sie zur Metapher des Todes werden. Die Abbilder agieren immer im möglichen Finale des Daseins … Stephanie Pech überschreibt eine alte Tradition mit Heftigkeit in die Zukunft“, konstatiert Dieter Ronte. Eine Feststellung, der auch die Künstlerin selbst gern beipflichtet: „Da bin ich dann doch wieder beim klassischen Stillleben, dieses Werden und Vergehen, diese nature morte, das ist immer in meinen Bildern thematisiert. Es hat auf der einen Seite etwas Liebliches und auf der anderen Seite schleicht sich diese Gemeinheit oder manchmal auch Brutalität rein. Das ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich.“

Nicht alle Akteure auf ihren Bildern findet die Künstlerin mehr oder weniger zufällig in der alltäglichen Umgebung. Manche werden sehr bewusst gesucht und ausgesucht. Die Regenwürmer, die in den Jahren 2003 bis 2007 ein häufig wiederkehrendes Motiv in ihren Gemälden sind, kauft sie in einem Angler-Fachgeschäft. Langgestreckt, manchmal über zwei Bilder verteilt, werden sie überaus gekonnt gemalt, mit ihrer fast körperlich erfahrbaren Feuchtigkeit und Schleimigkeit, riesig vergrößert in oft horizontale Bildformate gestellt. Zugrunde liegen diesen hyperrealistischen Darstellungen oft Fotos, Makro-Aufnahmen, von deren Abzügen und Kopien die Malerin die verschiedensten Farbnuancen extrahiert.  Ihre malerische Opulenz beschränkt die Künstlerin nunmehr auf den „Hauptdarsteller“ selbst, den Regenwurm, während sie den Handlungsraum des Bildes weitgehend weiß und ohne räumliche Koordinaten belässt. Stephanie Pech vollzieht in diesen Bildern eine Abkehr vom theatralisch-narrativen Aufbau ihrer bisherigen Bilder, sie verlässt auch den klassischen Bildraum zugunsten einer diffusen, laborhaft unterkühlten Bildsituation. Einzig eine nicht wirklich auflösbare Farbaura, die unmöglich ein Schatten, eher schon die Spur des Lebewesens auf dem Untergrund zu deuten ist, gibt dem Auge des Betrachters einen gewissen Halt. So wird der Regenwurm, riesig in seiner Vergrößerung und ausdrucksstark durch seine morbide Farbigkeit, zu einem Sinnbild von Leben und Lebenskampf im Angesicht des Vergehens, des Todes. Das alte Thema der Vanitas, des Erinnerns an die Vergänglichkeit im Moment der größten Pracht und Lebensfülle, erfährt in den Regenwurm-Stillleben eine moderne Ausprägung. Das Leben selbst – versinnbildlicht in einer seiner kaum jemals beachteten, niedersten Kreaturen.

Dynamisierung des Bildraums

Reduzierung des Bildraums, Isolierung des Bildgegenstands, Zurücknahme der malerischen Ausstattung – es ist der Wunsch nach einer weniger statischen, linear erzählenden Bildform, der in den Regenwurmbildern und verwandten Bilderserien deutlich wird – all diese künstlerischen Maßnahmen sind Belege für die Suche der Künstlerin nach einer Neuorientierung ihrer Malerei, die sich in den vergangenen zehn Jahren Bahn bricht. Aus den zarten Farbschleiern, die wie ein Schatten oder eine Aura die Bildgegenstände umgibt, werden nun gestische Farbspuren von einer eher informellen, kaum deutbaren Struktur. Der Bildraum wird aufgebrochen, die dynamisch die Bildfläche überziehenden Farbspuren und Farbschlieren bringen einen eigenwilligen malerischen Kontrapunkt ins Bild. Auch hier bedient sich Stephanie Pech eines kunstgeschichtlichen Zitats. Ende der 1950er Jahre hatte der Maler und Performer Yves Klein nackte, mit Farbe am ganzen Körper bemalte Frauen ihre Körper auf große zurechtgeschnittene Papiere oder Leinwände abdrucken lassen. Der Künstler dirigierte den gesamten Vorgang, der nach und nach vor immer größerem Publikum mit immer mehr  Modellen, zum Teil von Orchestermusik begleitet, aufgeführt wurde. Kleins „Anthropometrien“ greift Stephanie Pech wieder auf. Auch sie bedient sich eines Modells, einer Tänzerin oder Schauspielerin, welche die zuvor überall auf dem Körper verteilte Farbe auf die am Boden liegende Leinwand abdruckt. Doch hier ist der Vorgang ein gänzlich privater, nicht auf ein Publikum gerichteter. Es geht Stephanie Pech nicht um ein Event, sondern um das Aufbrechen einer zu starr gewordenen Bildordnung. Die Bewegung des Modells auf der Leinwand ist dabei wichtig, wie auch der letztlich vom Zufall mitbestimmte und somit nicht völlig zu kontrollierende Auftrag der Farbe durch den Abdruck des Körpers. Eine erste Spur, eine Markierung, ist ins Bildfeld gesetzt, ihre grobe Textur und ihre nicht komponierte, informelle Form geben der Künstlerin eine Vorgabe, in die sie mit ihrer feingliedrigen, präzisen Malerei hineinarbeiten kann. Die Körperabdrucke, auch von Stephanie Pech als Anthropometrien bezeichnet, werden mit schnell trocknender Acrylfarbe gefertigt, die danach stattfindende Überlagerung mit realistischen  Gegenständen, Pflanzen, Blumen oder Tieren, gestaltet die Künstlerin wiederum mit Ölfarben, sorgfältig geschichtet, mit Lichtpunkten und Lichtreflexen ausgestattet, in altmeisterlicher Technik. Der Kontrast zwischen Flüchtigkeit und Dynamik auf der einen Seite, und einer in sich ruhenden Statik und malerischen Festigkeit auf der anderen macht das Neuartige dieser Bilder aus.

Quellen:

Dieter Ronte, Malerische Methode als Option der Wahrheit, in: Ausst.-Kat. „Stephanie Pech. Von den verborgenen Abgründen des Alltäglichen“, Kunsthalle Bielefeld / Stadtmuseum Siegburg 2002 /2003, S. 10

Manfred Schneckenburger: Der Pinsel als Skalpell, in: Ausst.-Kat. „Stephanie Pech. Bilder 1995 – 1999, Bonn 1999, S. 9


Sepp Hiekisch-Picard, Kunstmuseum Bochum

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