"Floating Days"
Text zur Ausstellungseröffnung, Galerie Tammen, Berlin 2020
Floating Days, das sind Tage, an denen man sich treiben lässt, sich frei fühlt von Zwängen, vom Drängen, offen ist für das was vorbeischwimmt. Zerstreuung und Geistesgegenwart halten sich an solchen Tagen die Waage. Und durch die akustische und semantische Nähe mag der psychologischen Begriff flow (fließen, strömen), mit dem das Glücksfluidum der Hingabe beschrieben wird, ebenfalls anklingen.
Mobil und mobilisierend, fluktuierend und zugleich von prägnanter Aufmerksamkeit für die Welt des Sichtbaren ist auch die Malerei von Stephanie Pech. Sie überführt in einer eigenwilligen Volte die Gattung des Stilllebens in ein bewegliches, bewegendes Geschehen, in ein Vexierspiel, das eine bildnerische Situation nicht abschließt, sondern erst eröffnet. Das Paradox des stillgelegten Lebens, der Nature Morte, wird so erst eigentlich eingefangen. Im Sichtbaren tritt man ein in ein bewegtes und bewegliches Ereignis, das wie selbstverständlich diesseits und jenseits der Grenze des Bezeichnens tanzt, ohne auf eine Seite reduzierbar zu sein. In solchen Bildräumen können seltsame Dinge geschehen: Eierstöcke explodieren, Frösche sitzen huckepack unter der Dusche, eine Krabbe thront skulptural in splendid isolation, Filetstückchen wirbeln umeinander. Es entstehen doppelbödige Traumwelten in gewagten Farbakkorden. Und die unterschiedlichen Bildebenen, die collageartigen subtilen Texturen werden zu Bildereignissen, in denen der Gegenstand und die Farbe, das Sujet und seine Stofflichkeit auf wundersame Weise miteinander agieren und kommunizieren. Meeresgetier, Pflanzen, Früchte, Blumen und allerlei Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs betreten die Bilderbühne, handeln und verhandeln ein untergründiges Geschehen. Die fast verstörende, unheimliche Gegenständlichkeit der Szenerien, die Farbgebung in ihrer opulenten oder unterkühlten Koloristik sind getragen von einem Elan Vital, von Zärtlichkeit und unterschwelliger Angriffslust zugleich. Stephanie Pechs kalkulierte, exakt ausponderierten Kompositionen sind gebaut aus subtilen Betrachtungen, aus Beobachtungen, die doch über ihre Faktizität hinausweisen in unauslotbare Räume von Ambivalenzen und Korrespondenzen, so wie jedes Leben, das Gefühl des In-der-Welt-Seins aus ganz unterschiedlichen und unverträglichen Ingredienzen zusammengesetzt und sich selbst oft unbekannt ist.
Abstraktion und Gegenständlichkeit sind hier keine sich ausschließenden Gegensätze, die Grenzen des Entweder-Oder werden in der Malerei von Stephanie Pech souverän überschritten, die wiedererkennbaren, assoziativ besetzten Dinge und Wesen rücken heran, und bleiben doch rätselhaft. Nähe und Ferne verbinden sich. Doch anders als in den klassischen Stillleben, die oft das Seltene, Exotische neben ganz alltägliche Gegenstände stellen und so Vertrautes und Fremdes sich begegnen lassen, führt Stephanie Pechs Einsatz der banaler Wirklichkeitsdetails eher in ein Atmosphärisch-Offenes. Dazu trägt auch der Bildraum bei: kein identifizierbarer, sondern ein pulsierender Farbraum, in dem die zeichenhaften Dinge treiben. Aller mimetischen Finesse zum Trotz werden die Bildgegenstände so zu einer neuen, ungewohnten Bildwirklichkeit, wobei kühne Aufsichten, Schattenwürfe und Aus-und Anschnitte Spannung und Dramatik bestimmen. In der Gattung des Stilllebens, die Stephanie Pech auf beherzte Weise gegenwartstauglich macht, wird zugleich das immer vertrackte Verhältnis zwischen Kunst und Natur, zwischen Mimesis und Schöpfung reflektiert und offengelegt. Stephanie Pech entfaltet ein Inventar der bildnerischen Möglichkeiten, das nicht auf verordnete Ordnungen hereinfällt, sondern flexible, wandelbare Vorschläge des Zu-Sehen-Gebens bereithält, die dem Nebeneinander, dem Zugleich, der Simultaneität unterschiedlicher Perspektiven auf die Welt Raum geben. Solche Bilder richten sich auf die Sichtbarmachung einer Potentialität, auf das noch unbekannte Residuum anderer Möglichkeiten. Kunst lässt etwas noch nie Dagewesenes in Erscheinung treten. Bevor es das Kunstwerk gibt, gibt es keinen Inhalt, der „zum Ausdruck“ gebracht wird. Und so changieren die Bildräume zwischen Figur und reiner Farbe und ihrem Vermögen, das Energetische, Aleatorische, Auflösende, ein Spiel mit Nuancen erst zur Anschauung zu bringen. Zwischen lesbaren Sehdaten und ihrer Auflösung, zwischen Umriss und Flächen formt sich eine fragile Einheit, die nie erstarrt. Diese Malerei ist ein Ort, an dem sich die Verwandlungen, die Übersetzungen nicht einfach nur ereignen, eher scheint sie selbst im permanenten Wandel, in steter Metamorphose, die keinen Anfang und kein Ende kennt. Eine alte Geschichte, die immer noch von Zauber und Bannung, von Illusion und Realität, von Flüchtigkeit, Zeit und Ewigkeit handelt. Stephanie Pechs Malerei baut – ausgreifend und zurückgreifend - vielfältige, unauflösbare Beziehungen zwischen dem ‚Was’ und dem ‚Wie’ des Bildes auf, zwischen der unbestimmten Offenheit der Textur aus Farbformen und der in der Figuration sich kristallisierenden Bildlichkeit.
Jenseits des simplen Gegensatzes von Abstraktion und Figuration werden hier die Mittel der Malerei ausgeleuchtet – auch und gerade in der eigenwilligen Verbindung von Konzept und Flow. Im Spiel und Widerspiel der Gegensätze der traditionellen Bildmedien, im Zwischenreich zwischen Gegenstand und Auflösung setzen diese künstlerischen Erkundungen das haltlose Abenteuer der Wahrnehmung zwischen Nähe und Ferne ins Licht. Wie im Paradox balancieren die Arbeiten Reduktion und Fülle, Zerstreuung und Konzentration zu einer verdichtenden Reflexion. In der gleichsam ozeanischen Bilderwelt, im Auftauchen der Bilder wird die Beweglichkeit der Kunst von Stephanie Pech zu einer Form des sinnlichen, des wilden Denkens. Es geht dann auch um die ständige Umformung und „Erneuerung des Bildes der Welt und des Verhaltens in ihr, indem sie durch ihre Erlebnisse die Formel der Erfahrung sprengt."
In der Malerei von Stephanie Pech berühren sich Reiz und Schauder. Im Ineinander der Gegensätze entwickeln, entwickelt sich die freie und befreiende Anschauung. Hier erwacht ein Möglichkeitssinn, der erst ein Anderes erspielen kann. So kann die Kunst Gegenbilder zur eindimensionalen Wirklichkeit bieten. Diese Malerei erzählt davon, wie sich der Mensch auf die Welt einlassen, wie er sie formen, wie er sie als berührbar und mobil erfahren kann: eine lustvolle Affiliation und ein Spiel mit Mesalliancen, mit Influence und Influenza. Trennung und Verbindung, Schnitt und Zusammenhang, Einfall und Zufall, Entschiedenheit und Freiheit sind in eigenwilliger, schwebender Ambivalenz.
"Die Aufgabe ist: immer neue Lösungen, Zusammenhänge, Konstellationen, Variablen zu entdecken, Prototypen von Geschehensabläufen hinzustellen, lockende Vorbilder, wie man Mensch sein kann. Den inneren Menschen erfinden.“
Dorothée Bauerle-Willert
(1) Robert Musil, Skizze der Erkenntnis des Dichters, In: Gesammelte Werke, hrsg. von Adolf Frisé , Bd. 8, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 1152
(2) Robert Musil, Skizze der Erkenntnis des Dichters, In: Gesammelte Werke, hrsg. von Adolf Frisé , Bd. 8, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 1029